Guten Morgen aus Staufen im badischen Markgräflerland. Ein friedliches Osterfest ist das ja nicht in vielen Teilen der Welt, ob in der Ukraine, in Gaza, in Syrien, im Jemen, an anderen Orten… Bei den Ostermärschen für Frieden sind viele Menschen unterwegs, die schon lange in der Friedensbewegung engagiert sind und vielleicht noch mehr, die das zum ersten Mal tun. Die werden von allen ermahnt, nicht so einseitig zu sein - nun einseitig für den Frieden darf man schon eintreten. Plakate pro Putin oder für eine russische Herrschaft über die Ukraine habe ich genauso wenig gesehen wie Aufforderungen zur Unterwerfung oder Kapitulation - und wenn es die doch geben sollte, dann ist das eine verschwindend kleine Minderheit, deren Haltung von keinem vernünftigen Menschen geteilt wird - wiewohl in der veröffentlichten Meinung gelegentlich der Eindruck erweckt wird, das sei anders. Das liegt darum, dass denen, die nicht der militärischen Logik alleine folgen wollen, unterstellt wird, dass sie insgeheim die imperialistische Politik Putins unterstützen würden, oder zu naiv seien, um sie zu verstehen. Putin könne man nur mit militärischer Härte beikommen, Eskalationsrisiken bestünden nicht und man darf sich aussuchen, ob man für feige oder moralisch verkommen gehalten werden will, wenn man dieser Sichtweise nicht automatisch folgen mag. Wenn man dann noch auf die Notwendigkeit hinweist, in den demokratischen Ländern eine gesellschaftliche Mehrheit für diese Politik zu brauchen, oder gar gegen das Ausspielen von äußerer und sozialer Sicherheit argumentiert, ist man Angstmacher. Der wahre Friedensfreund unterstützt ein Maximum an militärischem Einsatz gegen die Atommacht Russland, die über ein Vielfaches an Soldaten verfügt, deren Schicksal dem Diktator Putin so wenig zu bedeuten scheinen. Wenn Olaf Scholz sich aus Verantwortung für unser Land deutlich gegen Emmanuel Macrons Philosophieren über den Einsatz von Bodentruppen der NATO in der Ukraine ausspricht, wird das als Verstoß gegen deutsch-französische Gemeinsamkeit gegeißelt. Das sei ja nur ¥Ambiguität“ also die Abschreckungsfunktion davon, den Gegner im Unklaren zu lassen. Das bedeutet im Klartext, die Bevölkerung müsse wissen und werde schon akzeptieren, dass man im Zweifelsfall die Eröffnung des dritten Weltkrieges nicht ausschließt, denn genau das wäre der Einsatz von NATO Truppen gegen Russland. Moment mal, will die Bevölkerung wirklich einen Bundeskanzler haben, der das nicht ausschließt…? Friedrich Merz sagt, die Entscheidung über den Einsatz deutscher Bodentruppen ¥stelle sich gegenwärtig nicht“…. Sollten wir den Krieg nach Russland in die Ministerien (in Moskau) tragen, wie Herr Kiesewetter von der Union sagt? Brauchen wir eine europäische Atombombe, wie Joschka Fischer und andere meinen? Ist der Weg zum deutschen Wirtschaftsaufschwung am besten über die Entfesselung der deutschen Rüstungsindustrie zu schaffen, wie ich gestern in einem Leitkommentar las? Brauchen wir immer mehr und immer wirksamere Waffen, um den Frieden am besten zu sichern? Liegt die Lösung der Weltprobleme von Armut, Umweltzerstörung, Migration und Kriegen bei dem Ressourceneinsatz für Aufrüstung? Sind die täglichen Toten, Verletzten, Vertriebenen, Vergewaltigten, Traumatisierten, ist all die Zerstörung des Stellungskrieges ohne Sieger, sind all das unvermeidliche Kollateralschäden bis militärische Erfolge Putin an den Verhandlungstisch gezwungen haben??? Ist die Forderung nach zumindest zeitlich oder regional begrenzter Waffenruhe und neuen diplomatischen Anstrengungen in der Ukraine oder Gaza Gefühlsduselei, Appeasement, Feigheit, gar unmoralisch???? Derzeit wird gerade die SPD unter Wind genommen, weil Olaf Scholz die Lieferung der hochwirksamen Kriegswaffe mit enormem Zerstörungspotential und riesiger Reichweite, den berüchtigten Taurus Marschflugkörpern, an die Ukraine ablehnt. Rolf Mützenich wird kritisiert, weil er die Frage aufwirft, ob wir nur darüber reden sollten, wie Kriege geführt und nicht, wie sie beendet oder verhindert werden können???? Auch kursiert ein scharf formulierter natürlich ¥Offener Brief“ der renommierten Historiker mit SPD Parteibuch, der Professores Heinrich August Winkler (bei dem ich Examen gemacht habe), Jan C. Behrends, Gabriele Lingelbach, Dirk Schumann und Martina Winkler an die ¥lieben Mitglieder des Parteivorstands“, der uns öffentlich um die Ohren gehauen wird, weil wir uns das nicht sofort zu eigen machen. Darin ist von wachsender Sorge die Rede, dass wir trotz ¥Zeitenwende“-Rede des Bundeskanzlers nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine die notwendige Klarheit und unzweideutige Solidarität mit der Ukraine vermissen ließen. Der Umgang mit dem ¥neo-imperialen Russland“ verlange eine neue ¥Positionsklärung“ des Parteivorstands der SPD und ein eindeutiges Auftreten in der Öffentlichkeit. Dabei gehe es um drei Punkte: 1. Die Kommunikation von Kanzler, Partei- und Fraktionsspitze sei scharf zu kritisieren, willkürlich, erratisch und nicht selten faktisch falsch. Die Abstimmung mit den Verbündeten seiunzureichend und die Uneinigkeit als Ermunterung für Putin zu verstehen und ¥rote Linien“ würden für die deutsche Politik und nicht etwafür Putin gezogen. Die Äußerungen von Rolf Mützenich zum ¥Einfrieren“ des Konflikts seien ¥fatal“, die unter dem ¥Schlagwort Friedenspartei“ verfolgte Politik seikurzsichtig und die Eskalationsrisiken würden ignoriert, wenn man Putin keine Grenzen setze. 2. Innerhalb der SPD fehle eine ¥ehrliche Aufarbeitung der Fehler der Russlandpolitik der letzten Jahrzehnte“. Das gelte für die ¥Verstrickungen verschiedener Genoss(Inn)en mit Interessenvertretern Russlands und die fehlgeleitete Energiepolitik, die zu einer fatalen Abhängigkeit von Russland geführt habe. Die Bahrsche Außenpolitik werde ¥nach wie vor unkritisch und romantisierend als Markenzeichen der SPD hochgehalten“. Dies sei unglaubwürdig und angreifbar, zeichne ein falsches Bild Russlands und sei eine gefährliche Basis für die künftige Außenpolitik. 3. Der Umgang mit den Aussagen von Expert(Inn)en und Wissenschaftler(innen) für Sicherheitspolitik und Völkerrecht sei problematisch und ignoriere wertvolle Wissensressourcen für die Entscheidungsfindung. Behauptungen aus dem Kanzleramt stünden (auch in technischen Fragen) im diametralen Widerspruch zu diesen Experten und es gebe sogar wissenschaftsfeindliche Aussagen und die SPD bereite einer ¥gefährlichen Desinformationskultur“ den Boden. Eine ¥echte Zeitenwende“ verlange dagegen die Erkenntnis, dass ¥Putin seit Jahren einen hybriden Krieg gegen Europa führe und nur dann ein Interesse haben werde, diesen Krieg zu beenden, wenn ihm die notwendige Stärke entgegengesetzt werde“. Diese ¥Realitätsverweigerung“ der SPD sei hochgefährlich. Es bedürfe einer klaren Strategie für einen ¥Sieg der Ukraine“… Soweit die Kernaussagen dieses ¥offenen Briefes“, der eine legitime Positionsbeschreibung darstellt, aber weder quasi naturwissenschaftliche Richtigkeit beanspruchen kann, noch nach meiner Auffassung als Orientierung für einen sozialdemokratischen Richtungswechsel taugt. Innerhalb der Volkspartei SPD ist das wohl eher eine Minderheitsposition, die viel Unterstützung in der veröffentlichten Meinung, bei Union, FDP und Grünen erfährt, was aber für die öffentliche Meinung kaum gelten dürfte. Die Schwachstellen der harschen Analyse liegen auf der Hand: Richtig ist, dass die einseitige Abhängigkeit von russischer Energie, wiewohl gut begründet (billige und stabile Gaslieferungen für die deutsche Industrie, Sanktionsdrohungen der Trump-Administration, um sein teureres und umweltschädliches Frackinggas zu verkaufen…) im Nachhinein problematisch war. Dieser Fehler wurde von Union, SPD und FDP gemeinsam gemacht und von der Ampelkoalition mit hochwirksamer Krisenbewältigungspolitik überzeugend korrigiert. Auch im Schweriner Landtag und dessen einstimmigen(!) Beschlüssen waren logischerweise alle Fraktionen beteiligt. Richtig ist, dass die Verteidigungs- und Bündnisfähigkeit der Bundeswehr unter Mitwirkung der SPD vernachlässigt wurde. Die Kanzlerin hieß Angela Merkel und die Verteidigungsminister(innen) kamen 16 Jahre von der Union. Das Sondervermögen für die Bundeswehr hat ein sozialdemokratischer Kanzler vorgeschlagen, Boris Pistorius reformiert die Bundeswehr. Die Minsker Abkommen (an denen auch Frankreich beteiligt war) erfolgten unter der gleichen politischen Konstellation und es war Frank Steinmeier, der den ¥Reverse Flow“ (also die deutsche Gaslieferungspflicht an die Ukraine im Falle russischen Boykotts) in die Abkommen hineinverhandelte. Der Fehler, sich nicht genug mit den Interessen der osteuropäischen Nachbarn beschäftigt zu haben, ist sicher einzuräumen. Dennoch gilt, dass die Ost- und Friedenspolitik von Willy Brandt, Walter Scheel und Egon Bahr als eine der Voraussetzungen für den Fall des eisernen Vorhangs und die Demokratie in vielen Staaten Osteuropas gelten darf und zurecht mit dem Friedensnobelpreis gewürdigt wurde, was mitnichten ein ¥romantisierendes Markenzeichen“ der SPD ist,sondern vielmehr einer der vielen stolzen Momente der sozialdemokratischen Geschichte darstellt. Dagegen sind die Konservativen damals Sturm gelaufen, manche verspüren heute wieder Rückenwind, wenn der SPD abverlangt wird, sich davon zu distanzieren. Zusammen mit dem Mut tapferer Bürgerrechtler in der DDR und dem Weitblick von Michail Gorbatschow und George Bush Senior liegt in dieser Politik die zentrale Weichenstellung für die Wiedererlangung der deutschen Einheit und dem Ende der Blockkonfrontation. Fehler im Umgang mit dem Russland Jelzins und Putins fallen unter die Ägide der Regierungen Kohl, Schröder und Merkel und - dass man im Nachhinein klüger ist - gilt dann eben auch für Union, SPD, FDP und Grüne gleichermaßen. Alles was zu den militärischen Einschätzungen gesagt wird, darf man mit guten Gründen bezweifeln, wenn man den gegenwärtigen Stellungskrieg und die bisherigen militärischen Prognosen zugrunde legt. Es ist hoffentlich möglich, die Ukraine erfolgreich zu verteidigen, um zu verhindern, dass Putin damit durchkommt, Grenzen mit militärischer Gewalt zu verschieben. Wie es möglich sein soll, Russland militärisch zu besiegen, bleibt rätselhaft. Die offenkundigen Eskalationsrisiken werden komplett ausgeblendet, die Verantwortung des Bundeskanzlers dafür, Deutschland und die NATO keinesfalls zur Kriegspartei (in einem Dritten Weltkrieg) zu machen,ebenfalls. Die Rolle der öffentlichen Meinung in den westlichen Dmokratien USA, Frankreich und Deutschland wird überhaupt nicht betrachtet. Wissenschaft,Sicherheitsexperten und Militärs sind wichtige Ratgeber/innen - dass sie in der Demokratie (die Rüstungslobby schon gar nicht!) Gleichwohl nicht selbst die Entscheidungen treffen (und verantworten), sondern demokratisch legitimierte Verfassungsorgane,sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt. ÜBer deren Irrtümer und Fehler urteilen sie dann später als Historiker/innen wie die Autoren des ¥Offenen Briefes“ es für sich jetzt schon beanspruchen, was ihr gutes Recht ist. Dass die SPD überhaupt die einzige Partei ist, die Fehler in ihrer Russlandpolitik (nicht der letzten Jahrzehnte, aber des letzten Jahrzehnts) öffentlich eingeräumt und aufgearbeitet hat, rechtfertigt die öffentliche Selbstanklage aus sozialdemokratischen Reihen kaum. Dass die SPD Fraktion die einzige im Deutschen Bundestag (jenseits der Putinfreunde und rechtsextremen und linken Populisten) ist, die nicht nur über Waffen und Militärlogik redet, sondern neben der militärischen Unterstützung der ukrainischen Verteidigungsanstrengungen (europäisch an Platz 1, weltweit nur hinter den USA) auch über humanitäre und diplomatische Anstrengungen redet und ringt, ist wahrlich kein Anlass die ¥Friedenspartei“ SPD von innen zu schmähen, sonder eher,Fragen an Union, FDP und Grüne zu richten. Die Diskussion ist notwendig, sie erlaubt unterschiedliche Positionen, sie gebietet Respekt und sie wird später einmal zu bewerten sein. Der ¥offene Brief“ renommierter Historiker/innen aus SPD Reihen ist ein scharfzüngiger Meinungsbeitrag - nicht mehr und nicht weniger - seine wesentlichen Wertungen und Schlußfolgerungen teile ich zum großen Teil nicht. Nach so viel österlicher Betrachtung unserer öffentliche geführten sozialdemokratischen Selbstfindungsprozesse ist jetzt ein Spaziergang fällig. Ob der HSV in Fürth punkten kann? Notwendig wäre das…. Mein Musiktipp für Euch da draußen im digitalen Orbit ist von Edvard Grieg - Morgenstimmung (aus Peer Gynt) Frohe Ostern | |